Andrea Quapp, Investment Director für Multi Asset Class Solutions (MACS) Kontinentaleuropa, empfiehlt Anlegern, der Kraft und der Dynamik der führenden Wirtschaftsnationen mehr zuzutrauen und dies für Aktienengagements zu nutzen. Geopolitische Konflikte, Zinssenkungen, die sich verzögern, sowie ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften werden die Börsen aber immer wieder etwas abbremsen.
19. März 2024
An den Finanzmärkten – insbesondere an den Aktienmärkten - wird die Realität verdrängt. Der Angriffskrieg von Russland in der Ukraine scheint weit von einem Ende entfernt zu sein – und bringt unsagbares Leid und Zerstörung. Auch die Offensive von Israel gegen die Hamas im Gazastreifen hat punkto Länge, Umfang und Intensität wohl die meisten negativ überrascht und wird noch andauern. Diese Konflikte absorbieren Staatskapital, das in die Rüstung und in den Wiederaufbau fliesst und nicht wie geplant, Infrastrukturausbau, Digitalisierung und Förderung von erneuerbaren Energien finanziert. Die Unterfinanzierung in diesen wichtigen Bereichen wird erst mit Verzögerung an den Finanzmärkten spürbar sein.
Die Aktienmärkte kennen jedoch seit Wochen nur eine Richtung – nach oben. Der deutsche Aktienindex DAX erklimmt ein Rekordhoch nach dem anderen. Seit dem Tief Ende des dritten Quartals 2022 beläuft sich das Performanceplus des DAX in Euro auf fast 50 Prozent. Auch der breite US-Index S&P-500 notiert über 5.100 Zählern – knapp unter dem Höchststand. Die Schweizer Börse fällt dagegen aus dem Rahmen, der SPI notiert unter 15.000 Punkten – immer noch 10% bzw. 1.500 Punkte vom Höchst vom Januar 2022 entfernt (Quelle: GAM, Bloomberg).
Deutschland: In der Rezession auf Börsenrekord
Von den Indexständen lässt sich nur bedingt auf den Zustand der Volkswirtschaften schliessen. Gerade Deutschland wird wie in den 80’er Jahren als «kranker Mann» Europas bezeichnet. Das Land befindet sich seit Monaten in einer leichten Rezession. Insbesondere die hohen Energiepreise belasten die wichtige Exportindustrie. Aber auch die Bau- und Immobilienwirtschaft kränkeln wegen hoher regulatorischer Auflagen. Ganz anders sieht es dagegen in Amerika und Indien aus. In den USA brummt die Wirtschaft, die Unternehmensgewinne sprudeln und die Teuerungsraten gehen zurück. Die US-Wirtschaft hat in den zurückliegenden Monaten mehrheitlich positiv überrascht. So wurde für das Schlussquartal des vergangenen Jahres erneut ein kräftiges BIP-Zuwachs von annualisiert 3,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal gemeldet. Es zeichnet sich ein ordentlicher Start ins erste Halbjahr 2024 ab. Zum einen ist hier der deutliche Stellenzuwachs von 353’000 im Januar zu nennen (Quelle: GAM, Bloomberg). Zum anderen sticht der schwindende Pessimismus bei der bislang lahmenden Industrie ins Auge, der sich im Anstieg des ISM-Einkaufsmanagerindikators zeigt.
Indiens Tigerstaat erfreut sich eines rasanten Wachstums
Indien ist ein dynamischer Riese. Im vergangenen Jahr wurde der Subkontinent mit 1,4 Milliarden Einwohnern zum bevölkerungsreichsten Land vor China. Die Wachstumsdynamik hat sich dabei beschleunigt. Seit 2015 liegt das Land an der Spitze der G20-Länder. Die Wachstumsrate lag abgesehen von 2020 bei durchschnittlich sieben bis acht Prozent und trug im vergangenen Jahr ganze 16 Prozent zum globalen Wachstum bei. Im Gegensatz dazu verfolgt China – der einstige globale Wachstumsmotor – konsequent einen immer dogmatischeren Weg und wendet sich vom Westen ab. Das führt bei den Industrienationen in Sektoren wie dem Automobilbau oder der Kapitalgüterindustrie zu einem Nachfrageeinbruch.
Zinssenkungsunsicherheit sorgt für gute Zeiten
Die Wirtschaftsschwäche in Deutschland, den grösstenteils die Politik – durch eine wirtschaftsfeindliche Energiepolitik, Reformunwilligkeit und Vernachlässigung von Innovationen – verursacht, wird durch das Wachstum in anderen grossen Wirtschaftsblöcken kompensiert. In der Expansionsphase werden vielerorts die Arbeitskräfte rar, dass ermöglicht es den Arbeitnehmern, lange zurückgestellte Lohnforderungen durchzusetzen. Davon profitiert der Konsum. Trotzdem gehört die hohe Teuerung, die nach der Coronavirus-Pandemie einsetzte, der Vergangenheit an. Insbesondere die Energiepreise und die durch Lieferengpässe getriebenen Transportkosten haben sich zuletzt normalisiert.
Der in der Breite nachlassende Inflationsdruck steigert seit Monaten die Erwartung, dass die Leitzinsen – insbesondere in den USA bald reduziert werden. Doch Zahlen zu Konsumausgaben oder neu geschaffenen Stellen sowie eher pessimistische Aussagen von Notenbankern lassen die Hoffnung auf bald einsetzende Zinsschritte immer wieder abkühlen. Dass die US-Notenbank in diesem Jahr mit Zinssenkungen beginnt ist unbestritten aber wann dies der Fall sein wird, ist ungewiss. Dieses Hin und Her der Erwartungen ist für die Finanzmärkte jedoch ein konstruktives Umfeld.
Die Rezession hat ihren Schrecken verloren und Obligationen ihre Attraktivität
Die USA haben die Rezession vermieden oder zumindest in die Zukunft verschoben. Die Inflation ist kaum noch eine Gefahr, deshalb werden im Jahr 2024 erste Zinssenkungen erwartet. Für Anleihen Portfolios drängt sich auf diesem Renditeniveau eine Annäherung an eine neutrale Duration auf. Attraktiv sind nur noch Unternehmensanleihen hoher Qualität. Diese Unternehmen benötigen kein hohes Wirtschaftswachstum, um gute Renditen zu erzielen, zudem verfügen sie über starke Bilanzen, einen ebensolchen Cashflow und der Verschuldungsgrad ist historisch eher tief.
Unter den Währungen wird der US-Dollar mit einsetzenden Zinssenkungen durch die US-Notenbank Federal Reserve an Attraktivität verlieren. Davon profitieren in der Regel energieimportierende Volkswirtschaften.
Die Glorreichen Sieben treiben die Börsen vor sich her
Die USA behalten ihre dominante Sonderrolle an den globalen Kapitalmärkten und beweisen das an der Börse eindrücklich. Die Aktien der «Magnificent Seven», der grössten Technologie-Aktien, haben zuletzt traumhafte Kurssteigerungen gezeigt. Dank dem Boom um künstliche Intelligenz stieg das Chip-Unternehmen Nvidia zum neuen Liebling an der Wallstreet auf. Die Investoren vernachlässigen angesichts der Tech-Rally negative Faktoren wie die hohe Staatsverschuldung, die fragile Lage der Regionalbanken bei Immobilienfinanzierungen sowie die Turbulenzen des Wahlkampfes.
Warum defensives Wachstum eine Schweizer Qualität sein könnte
Die Anleger in den USA haben jedoch nicht nur mögliche Krisen, sondern auch die Kennzahlen am Aktienmarkt aus den Augen verloren. So ist der US-Markt vergleichsweise hoch bewertet und das Gewinnwachstum verlangsamt sich. In diesem Umfeld sind Aktien aus Europa und insbesondere der Schweiz theoretisch attraktiv. Das Gewinnwachstum ist gemäss Zahlen des Datendienstleisters IBES mit elf Prozent in der Schweiz überdurchschnittlich gut (Quelle: Institutional Brokers' Estimate System 2024). Der seit Mai letzten Jahres hinter seinen globalen Konkurrenten zurückgebliebene defensive Aktienmarkt dürfte in den kommenden Monaten positiv überraschen, dank seiner Sonderrolle mit einem konsumfreudigen Heimmarkt und vielen international aufgestellten Unternehmen.
Europa muss sich dagegen mit einer Expansionsrate von fünf Prozent bei den Unternehmensgewinnen begnügen. Die europäischen Länder werden die Abhängigkeit von externen Energieträgern sowie von einem sich abkühlenden globalen Handel zu spüren bekommen. Insbesondere der heiss gelaufene Aktienmarkt Deutschland ist anfällig für Gewinnmitnahmen und Korrekturen.
Immobilienfonds haben sich erholt
Investmentfonds, die in Immobilien investieren, sind in der Schweiz beliebte Diversifikationsanlagen. Mit einer durchschnittlichen Kursavance von zehn Prozent haben die Fonds jedoch die sinkenden Zinsen für Festhypotheken und steigende Mieten eingepreist. Für weitere markante Kursavancen müssten die Zinsen weiter sinken. Potenzial weisen aber Fonds für Wohnimmobilien auf, weil sie doppelt profitieren: von der Wohnungsknappheit, höheren Mieteinahmen und der Zinsbewegung.
Im Krypto-Bereich hat die Zulassung von kotierten Indexfonds (ETF) auf den Kassakurs des Bitcoins durch die US-Börsenaufsicht zu einem Kursfeuerwerk geführt. Der Bitcoin kletterte über USD 60'000. In Ermangelung eines wirklichen Verwendungszwecks für die Kryptowährung und der Tatsache, dass jeder Käufer auf den «Next Fool» hofft, der den Coin teurer abkauft, ist der Sektor nur etwas für Spekulanten und Glücksritter.
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Der deutsche Aktienindex Dax ist ein Blue-Chip-Total-Return-Aktienindex für 40 große deutsche Unternehmen, die an der Frankfurter Wertpapierbörse gehandelt werden. Der US S&P 500 Index ist ein Aktienindex, der die Aktienkurse von 500 führenden börsennotierten Unternehmen in den USA abbildet. Der Schweizer SPI ist ein Blue-Chip-Börsenindex, der sich aus den 20 größten und liquidesten Aktien des Swiss Performance Index (SPI) zusammensetzt.
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