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Kapitalerhaltung, (vorerst) gelöst

Die meisten Anleger benötigen eine gewisse "Glättung" der Volatilität, um künftige Verbindlichkeiten zu erfüllen. Die Antwort der Portfoliokonstruktion liegt darin, die Abwärtsbewegungen eines aktienlastigen Portfolios auszugleichen, ohne das Aufwärtspotenzial zu sehr einzuschränken. Julian Howard untersucht, wie immer höhere Renditen für kurzfristige Anleihen eine tiefgreifende, wenn auch vorübergehende Lösung für dieses Dilemma bieten können.

27. April 2023

In der zentralasiatischen Folklore verspricht der Schurke Khodzha dem Emir gegen 1‘000 Münzen, dass er seinem Esel in 20 Jahren das Sprechen beigebracht haben wird. Natürlich wusste er genau, dass in 20 Jahren entweder der Emir oder der Esel tot sein würden, so dass er eine solch kühne Behauptung ohne Angst vor Repressalien aufstellen konnte. Auch Aktienanlegern werden von professionellen Managern oft sehr langfristige Versprechungen über die potenziellen Renditen von Aktien gemacht, doch anstelle von Zynismus gibt es die harten Beweise der Geschichte und das intuitiv logische Potenzial börsennotierter Unternehmen, im Laufe der Zeit zu wachsen.

Dieser Nachweis wird wohl am besten in zwei grossen Studien über die Renditen von Vermögenswerten im Laufe der Zeit verkörpert. Die erste ist die 2017 veröffentlichte Studie "The Rate of Return on Everything 1870-2015" des National Bureau of Economic Research (NBER), die, wie der Name andeutet, die langfristigen Renditen von Aktien, Anleihen und Immobilien untersucht. Die zweite Studie ist Jeremy Siegels regelmässig aktualisiertes Buch "Stocks for the Long Run", das zum "Alten Testament" des Buy-and-Hold-Investierens geworden ist. Die Schlussfolgerungen beider Bücher sind bemerkenswert ähnlich: Über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten lag die reale Aktienrendite in der Vergangenheit bei 6,5-7 %.

Kritiker verweisen auf die derzeitige Ära der Volatilität als Grund dafür, dass eine solche Rendite in Zukunft nicht mehr erreicht werden kann. Die jüngste Covid-19-Pandemie, der Einmarsch Russlands in der Ukraine, der darauffolgende Inflationsschub und die daraufhin steigenden Zinsen sowie eine neue Bankenkrise lassen eine reibungslose jährliche Realrendite von 7 % in sehr weite Ferne rücken. Aber all dies und noch viel Schlimmeres hat es seit Menschengedenken schon gegeben und ist in den genannten 6,5-7 % enthalten. Die Argumente für eine strukturelle Allokation in Aktien sind daher unseres Erachtens nach wie vor ungebrochen. Es macht auch intuitiv Sinn, wenn man bedenkt, dass viele der grössten menschlichen Innovationen von Unternehmen verpackt, ausgeliefert und letztlich zu Geld gemacht werden. Von der Massenproduktion des Ford Model-T im 20. Jahrhundert bis hin zur Einführung der künstlichen Intelligenz in unsere Suchmaschinen kann man davon ausgehen, dass börsennotierte Unternehmen auch weiterhin eine zentrale Rolle bei der Förderung des menschlichen Fortschritts spielen und damit laufende Erträge für ihre Aktionäre erwirtschaften werden. Dies macht eine strukturelle Allokation in Aktien in fast allen langfristigen Portfoliolösungen unerlässlich.

Das ist der "einfache" Teil. Schwierig wird es, wenn ein Zeithorizont eingeführt wird, der zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft die Bereitstellung von Mitteln erfordert. Für Einzelpersonen kann dies ein Datum für den Eintritt in den Ruhestand sein, für Institutionen vielleicht ein Finanzierungsbedarf für ein geplantes Projekt. Eine solche spezifisch definierte "Landezone" steht im Widerspruch zur unbefristeten Buy-and-Hold-Strategie, weil es komplette Jahre oder längere Phasen geben kann, in denen sich die Märkte schlechter entwickeln. Die Dot-Com-Abschwächung von 2001 bis 2003, die globale Finanzkrise von 2007 bis 2009 und in jüngster Zeit natürlich der Inflationsschock nach der Pandemie von 2022 gehören zu den bemerkenswerten jüngsten Beispielen. Zeiten wie diese sind natürlich nicht ideal für Verkäufe, doch können geplante (und auch ungeplante) Verbindlichkeiten oft zu solch ungünstigen Zeitpunkten fällig werden.

Abbildung 1: Kein linearer Lieferprozess - Aktien können jahrelang pausieren und tun dies auch

 
Quelle: RIMES. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Indikator für die zukünftige Wertentwicklung und aktuelle oder künftige Trends.

Die Antwort der Portfoliokonstruktion liegt darin, die Abwärtsbewegungen eines aktienlastigen Portfolios auszugleichen, ohne das Aufwärtspotenzial zu stark einzuschränken. Eine solche perfekte Asymmetrie ist schwer zu erreichen, aber ein gut diversifiziertes, auf Kapitalerhalt ausgerichtetes Portfolio kann einen grossen Teil des Weges dorthin gehen. Das Anlageuniversum bietet unter anderem zwei wichtige Möglichkeiten, die es wert sind, näher untersucht zu werden. Zum einen gibt es festverzinsliche Wertpapiere und Kredite, oder Anleihen, die ein regelmässiges Einkommen mit unterschiedlichem Grad an Kapitalstabilität erwirtschaften können. Das zweite sind alternative Anlagen, die, wie der Name sagt, potenziell vom Aktienmarkt unabhängige Erträge generieren können. Beide Ansätze sind mit praktischen Schwierigkeiten behaftet. Um aus Anleihen eine gute Rendite herauszuholen, muss man in der Regel eine gewisse Kombination aus Risiken in Form von Zeit, Ausfallpotenzial oder einer nur für Eingeweihte verständlichen Komplexität eingehen. Im Bereich der alternativen Anlagen haben die HFRX Hedge Fund und Macro CTA Peer Group Indizes in USD in den letzten zehn Jahren bis zum 13. April eine glanzlose jährliche Gesamtrendite von 1,5 % bzw. 0,7 % erzielt, und das trotz erstklassiger Gebühren und der Tatsache, dass sie die Heimat einiger (aber offensichtlich nicht aller) der besten Anlagetalente sind. Natürlich wäre es absurd, die bedeutende Rolle der Fundamentalanalyse zu ignorieren, die sie bei der Identifizierung effektiver Instrumente und Fonds innerhalb beider Anlageklassen spielt. Aber ein Blick auf die Performance der Lipper Flexible Global Peer Group zeigt, dass die Konsistenz von Multi-Asset-Portfolios, die mehr als nur Aktien enthalten, eine generelle Herausforderung bleibt.

Heute gibt es eine reale Lösung für dieses Problem in Form festverzinslicher Instrumente mit kurzer Laufzeit, die von den Finanzministerien der USA, des Vereinigten Königreichs und der Eurozone ausgegeben werden. Diese liquiden und bargeldnahen Instrumente haben direkt von den steigenden Zinsen in den jeweiligen Volkswirtschaften profitiert. In den USA bietet der 6-Monats-US-T-Bill derzeit lässig eine Nominalrendite von 4,7 %, die weit über der annualisierten 10-Jahresrendite des oben genannten HFR-Hedge-Fonds-Index liegt, und das bei nahezu sofortiger Liquidität. Diese Rendite ist im Grunde auch risikofrei, es sei denn, man hat das Gefühl, dass das US-Finanzministerium seinen Verpflichtungen nicht nachkommen wird. Zugegebenermassen liegt sie immer noch knapp unter der US-Gesamtinflationsrate von 5 % und stellt somit eine negative Realrendite dar, aber das beständige Übertreffen der Inflation lässt sich wohl am besten durch langfristige Investitionen in Aktien erreichen, die im Laufe der Zeit eine Preismacht ausüben können. Für den Teil eines Portfolios, der dem Schutz des Nominalkapitals und der Glättung der Renditen dient, sind die US-Schatzwechsel und in geringerem Masse ihre britischen und europäischen Pendants nahezu unschlagbare Kapitalerhaltungsanlagen.

Aber wie der Anti-Held Khodzha wusste, hält nichts ewig, und das eigentliche Problem beim Reiten auf kurzfristigen festverzinslichen Instrumenten besteht darin, dass die Geldpolitik in den grossen Volkswirtschaften irgendwann ihren Höhepunkt erreichen und wieder nachlassen wird, was die angebotenen risikofreien Renditen schmälert. Hier können die Anleger einigermassen beruhigt sein, denn zumindest in den USA haben die Marktteilnehmer die Entschlossenheit der Federal Reserve (Fed) zur Inflationsbekämpfung stets unterschätzt. Trotz der jüngsten Bankenprobleme und der sich abschwächenden Gesamtinflation bleibt sie entschlossen, die Geldpolitik weiter zu straffen. Schliesslich liegt die Inflation nach wie vor weit über dem Zielwert von 2 %, während die Arbeitslosigkeit niedrig ist, was den Zinsausschuss der Fed in dem Mitte April veröffentlichten Protokoll seiner März-Sitzung zu der Bemerkung veranlasste, dass "eine zusätzliche Straffung der Geldpolitik angemessen sein könnte". Irgendwann wird die Inflation natürlich auf das Ziel der Fed sinken, und die Zentralbank wird eine Pause einlegen und die Zinsen senken können. Aber im Moment haben die Anleger, vor allem in USD, noch Zeit, sich an kurzlaufende festverzinsliche Instrumente als wirksames Instrument für den nominalen Kapitalerhalt "anzulehnen".

Abbildung 2: Markt unterschätzt weiterhin die Entschlossenheit der Fed

 
Quelle: Bloomberg. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Indikator für die zukünftige Wertentwicklung und aktuelle oder zukünftige Trends.

Um wirklich geeignete Portfolios für Anleger zu konstruieren, müssen zwei Konzepte miteinander verbunden werden, um konkrete Ergebnisse unter Realbedingungen zu erzielen. Das beträchtliche Potenzial von Aktien lässt sich am besten über einen Zeitraum von mehreren Jahren erschliessen, aber die Glättung der charakteristischen Volatilität zur besseren Deckung des künftigen Finanzierungsbedarfs erfordert eine Beständigkeit der Kapitalerhaltung, die sich in den bisherigen Ergebnissen als frustrierend schwer fassbar erwiesen hat. Schon das Wort "Cash" hat in einigen dogmatischen Anlegerkreisen den (ungerechtfertigten) Beigeschmack einer Niederlage, aber kurzlaufende festverzinsliche Wertpapiere, wie sie eigentlich genannt werden sollten, können regelmässig eine nahezu vollständige Lösung für das Problem des Kapitalerhalts bieten, auch wenn es nur eine vorübergehende Lösung ist. Jetzt ist es an der Zeit, flexibel und pragmatisch zu sein.

Wichtige Hinweise und Informationen
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Julian Howard

Chief Multi-Asset Investment Strategist
Meine Insights

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